Russland: Internetzensurbehörde will Geolokation jeder IP-Adresse im Land wissen

Vorgeblich zur DDoS-Bekämpfung müssen alle Internetprovider im Land ab September den geografischen Ort jedes Adressblocks liefern. Experten haben Zweifel.

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(Bild: Shutterstock/Peshkova)

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Die russische Internetaufsichts- und Zensurbehörde Roskomnadsor (RKN) interessiert sich neuerdings für die Geolokation von IP-Adressen. Die Regulierungsstelle möchte eine nationale GeoIP-Datenbank aufbauen, mit deren Hilfe der Standort jeder IP-Adresse zu jedem Zeitpunkt ermittelt werden kann. RKN behauptet, das diene der DDoS-Bekämpfung, Experten und Netzaktivisten vermuten jedoch andere Motive.

Schon heute gelten für Provider umfangreiche Meldepflichten, etwa über den Standort und die Netzanbindung von Internetknoten sowie Verbindungen zu ausländischen Netzen (Autonomen Systemen, AS). Roskomnadsor geht nun einen Schritt weiter: Alle Anbieter im Land sollen ab September 2024 die Koordinaten der von ihnen genutzten Netzblöcke ermitteln und an die Roskomnadsor-Datenbank melden. So beabsichtigen die Zensoren, die digitalen Grenzen Russlands an dessen physischen Grenzen anzupassen.

Roskomnadsor begründet die Maßnahme mit dem Wunsch, "schnell einen Schutz gegen DDoS-Angriffe aus einzelnen Ländern aufzubauen", berichtet die russischsprachige Ausgabe des Forbes-Magazins. Die GeoIP-Datenbank wolle man demnach zum Download für Telekommunikationsanbieter bereitstellen, damit diese etwa ihre Filterlisten besser auf die Bedürfnisse russischer Nutzer anpassen können.

Dem Forbes-Bericht zufolge könnte eine Motivation der RKN sein, als nationale Vergabestelle für IP-Adressen aufzutreten – eine Aufgabe, die derzeit dem RIPE NCC zufällt. Das, so vermutet Alexey Amelkin von der Vereinigung russischer Kabelnetzbetreiber, könne ein weiterer Schritt zur Nationalisierung und Abkoppelung des russischen Internets vom globalen Web sein. Amelkin befürchtet erheblichen Zusatzaufwand für Internetprovider und einen geringen Nutzen, da dynamisch vergebene IP-Adressen häufig ihren Ort wechseln und private IP-Adressen gar nicht erst erfasst würden. Auch Dmitry Petrov vom Netzbetreiber Comfortel äußerte sich skeptisch.

Mikhail Klimarev, Direktor der "Gesellschaft zum Schutz des Internets" und Philip Kulin, Betreiber des Roskomnadsor-kritischen Projekts "Escher II", sind sich einig: Der Schutz vor DDoS sei lediglich ein Feigenblatt und in Wahrheit gehe es RKN darum, Netzblockaden unliebsamer Aktivitäten einfacher durchsetzen zu können. Kulin erinnert gegenüber Forbes an eine durch RKN verordnete Blockade des Messengers Telegram im vergangenen Oktober in Dagestan.

Die russische Regierung arbeitet intensiv an einem "RuNet", einer russischen Insel im Internet. Um regierungskritische Stimmen zu unterdrücken, setzt Roskomnadsor als oberste Aufsichtsbehörde regelmäßig Netzsperren durch. So sind einige VPN-Dienste dem Kreml ein Dorn im Auge, auch das Tor-Protokoll behindern die Zensoren seit Jahren mit Blockaden. Während des bewaffneten Aufstands der Wagner-Gruppe geriet Google News ebenfalls ins Fadenkreuz der Roskomnadsor. Facebook und Instagram sind für die russische Regierung "extremistische Organisationen", nach dem Meta-Pressesprecher Andy Stone fahnden gar russische Strafverfolger.

(cku)