4W

Was war. Was wird.

Regen? Frühling! Vielleicht vertreibt die Sonne ja dann die Gedanken an Nachbarschaftswarte und ähnliche Institutionen, die wieder gesellschaftsfähig zu werden drohen, meint Hal Faber.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 215 Kommentare lesen
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ein Land steht auf und kämpft gegen die Gewalt. Nach den blauen Tonnen für das weiße Papier und den gelben Säcken für den grünen Punkt kommen nun die schwarzen Dosen für die blutige Gewalt. Sie werden beim Nachbarschaftswart deponiert, weil wir alle "mehr aufeinander achten" müssen, wie unser Präsident es zu Erfurt formulierte. Das rechnerfähige Alter wird auf 17 gesetzt, die Volljährigkeit auf 21 und der Umgang mit Waffen wird ab 25 Jahren erlaubt. Wer als Mann danach aus der Bundeswehr entlassen wird, kann gereift mit 30 den Führerschein erwerben und die Technik bedienen, die bei uns so viele Menschen gewaltsam tötet. Bilder der Gewalt werden verboten, ebenso Filme und natürlich Computerspiele, die nach FAZ und auch der Zeit das Töten lehren und perfekte Killer produzieren. Fachleute für das Gewalt-Marketing werden mit dem Schmuserepository unserer friedlichen Nachbarn vertraut gemacht.

*** Der Diskurs über die Gewalt dröhnt in diesen Tagen gewaltig, die ursprüngliche Akkumulation des Entsetzens ist groß. Die Toten von Djerba und Erfurt, die Trümmer von Berlin und die Unruhen von Los Angeles vor 10 Jahren (54 Tote) werden in einem großen Topf zu Brei. Wir lesen, sehen und hören Geschichten über die fürchterliche Gewalt an Schulen, wir bekommen all die Gründe serviert, die alle vorher schon wussten. Wahltechnisch bedingt wird die heile, ach so heile Familie wiederentdeckt, die einzig Kinder vor den bösen Computern und den in ihnen steckenden noch böseren Spielen retten kann. Die Debatte ähnelt der über die Drogensucht, die Koks und Alk verbieten will und immun gegen die Frage ist, warum jemand sich die Spritze nimmt oder, jawohl, Counter-Strike als Droge konsumiert. Eifrig machen sich die staatstragenden Medien auf, allen Computerspielern eine Schere im Kopf anzubieten. Merke, Marke Kurzschluss: Wo Phantasie ist, entsteht ein Bild und Bilder können töten. Iconoclash nennt man dann die Technik. Es (englisch Id) nannte Sigmund Freud das der bewussten Kontrolle durch das Ich entzogene Unterbewusste, in dem es ganz und gar unzivilisiert zugehen kann. Als Hommage an Freud taufte sich 1991 ein Spieleproduzent auf den Namen Id Software und produzierte unter dem Codenamen "Couch" ein Spiel, dessen dritte Version dieser Tage erscheint.

*** Ein wichtige Rolle in der Diskussion spielen die klassischen Medien, besonders die Zeitungen und Fernsehsender, die zu gerne die ihnen längst entglittene Wirklichkeitsvermittlung bei mündigen Computernutzern zurückerobern wollen, doch am Ende nur einen Hasen-Chat zu Stande bringen. In den napoleonischen Kriegen strandete die französische Bark Chasse Maree an der englischen Küste. Einziger Überlebender: ein Affe. Nun hatten die Bewohner des Küstenstreifens noch niemals einen Affen gesehen, aber auch noch niemals einen Franzosen. So wurde kurzer Hand der Affe als französischer Spion erhängt. Die Zeitungen hätten keine Bilder von Franzosen gehabt, hieß es damals. Die Quittung haben die Küstenbewohner nun bekommen: Mit Unterstützung der Zeitungen ist der Affe posthum Bürgermeister geworden -- mit der Forderung "Bananen für Schulkinder".

*** Wo wir schon beim Thema Zeitungen, Gewalt und Kinder sind: Heute vor 90 Jahren wurde die "Pravda" gegründet, was übersetzt die "Wahrheit" heißt. Gründer und erster Chefredakteur war Josef Stalin. Der Mann, der später die eigenen Bürger im Namen der Wahrheit umbringen ließ, der einen Bucharin zum Geständnis nie begangener Verrate zwang, besiegte Hitler. Wenn russische Kinder heute über Stalin lesen, erfahren sie Geschichte im Comic, natürlich im Stil brutalstmöglicher Computerspiele.

*** Und wo wir schon beim Thema Fernsehen sind, können wir in die Stammlande dieser Kolumne einziehen. Ja, beim ReplayTV muss SonicBlue das Nutzungsverhalten seiner Kunden lückenlos offenbaren. Big Brother is watching you, diese uralte Kamelle wird erstmals wirklich beim Wort genommen. Was man zu dieser Nachricht in jedem Falle hinzufügen sollte, ist die Meinung von Jamie Kellner, dem Chef von Turner Broadcasting, einer Firma von AOL Time Warner. In einem Interview zum Thema behauptete Kellner diese Woche, dass das Wegschalten und Unterdrücken von Werbung im Fernsehen Diebstahl ist: "Jeder der bei Werbung umschaltet oder wegschaut, stiehlt unser Programm." Ehrliche Leute schauen nicht weg! Und wenn es bei den Werbesendern noch so viel Gewalt gibt, noch so viel dummdreiste Werbung, man stiert drauf, unentwegt. Ehrliche Leute mögen Kirch! Man möge nicht glauben, dass die Denkweise, die hinter dieser Diebstahlstheorie steckt, in Deutschland keine Grundlage hat. Nehmen wir nur die Privatkopie, die nach den Plänen der Bundesregierung beerdigt werden soll: Zu Hause ist dann jeder ein kleiner, gemeiner Dieb. Auch die Kollegen seriöser Blätter, die beim Thema Computer nur an gemeine Killer denken können und bei Telefonen vom Urknall schwärmen, wollen nur eines, ihre persönliche Datei von Tom Waits sichern.

*** Im ehrlich werbenden US-Fernsehen gibt es eine löbliche Ausnahme namens PBS. Dort hat ein befreundeter Kommentator seine Heimstatt. Robert X. Cringely ist ein Pseudonym, aber hinter jedem Pseudonym steht auch eine Extistenz. In seinem Fall ist es eine trauernde: Beim Tippen einer Kolumne verstarb auf seinem Schoß sein Baby an einer Krankheit, die man mit dem Begriff des plötzlichen Kindstodes nur unvollkommen umschreibt, weil man viel zu wenig über diese Krankheit weiß. Nun ruft Cringely die besten Hard- und Software-Nerds dazu auf, gemeinsam ein Gerät zu entwickeln, das erst einmal Daten über die Krankheit sammelt. Gegen die desinteressierte Pharma-Industrie setzt er ein Open Source-Projekt für das Leben.

*** Es war eine Woche voller Experten. Fast hätten wir ob der hiesigen Experten die amerikanischen vergessen, die sich mit kniffligen Fragen herumschlagen müssen. Nehmen wir Stuart Madnick, Professor am MIT, der im Murmeltier-Prozess um das mögliche Microsoft-Monopol in dieser Woche vor Gericht befragt wurde, ob er andere Betriebssysteme kennen würde, die nicht von Microsoft stammen. Madnick benannte KDE und Gnome als konkurrierende Systeme. Kein Wunder, wenn sich Microsoft bei solchen Experten umzingelt fühlt und bei CNN um Löschung des Artikels nachsuchte. Was prompt geschah -- wir wollen doch alle nicht auf unsere Werbung verzichten? Und auf unseren Ballmer schon gar nicht (Wer Probleme mit der Dechiffrierung dieses Filmchens hat, sollte vielleicht Engrish lernen).

Was wird.

Die Gewalt wird bekämpft. Kinder spielen nicht mehr Counter-Strike, sondern Überraschungs-Ei. Dazu mampfen sie die Eier und schreiben kluge Aufsätze, warum es in den USA keine Ü-Eier gibt. Schreiben sie keine Aufsätze, sehen sie Werbung und stehlen den Eltern damit keine kostbare Lebenszeit, die als Fortbildung viel besser angelegt ist. Wer vertrödelt schon gerne seine Zeit? Sun hübscht sich auch nächste Woche weiter auf, damit es endlich von IBM übernommen werden kann. Und IBM, ach IBM startet am Montag die bisher teuerste IT-Werbekampagne in Europa. Mit 425 Millionen Euro hämmert uns das große Blau den Slogan "Play to Win" in das Gehirn, Unterstützt von langen Leuten, die Bälle in ein Körbchen lupfen. Hat das der BVB verdient? Nein! Wobei, wenn es um Tore geht, auch IBM eines geschossen hat. Als Namen für das Joint Venture mit Hitachi kamen schlaue Leute schon auf HIV -- Hitachi IBM Venture. Alles andere ist eh ein Mythos.

Ein Mythos wird er vielleicht auch, aber erst einmal wird er 60, und zwar am Dienstag, der Polt. Nun sind wir hier nicht in Bayern, und mancher, der trübe in den Regen blickt, der auf die norddeutsche Tiefebene niederplattert, mag außer Valentin so gar keine Bayern. Doch vielleicht gibt es sie ja doch, die Seelenwanderung. Und so sei gratuliert -- viel lieber jedenfalls einem bayerischen Grantler zum 60. als einem seltsamen Ländle zum 50., das auch noch die Webherrschaft anstrebt.

Regen? Das Wetter. Frühling! (Hal Faber) / (jk)