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Was war. Was wird.

Die Wochenschau von Hal Faber: Von IQ-Tests und Fettnäpfchen, Schizophrenie und Schadenfreude, Leichtsinn und Sexismus.

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Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Vor kurzem habe ich einen Haufen Mails bekommen, die mitteilten: 'Ich liebe Dich'. Und sie hören nicht auf, meine Mailbox zu verstopfen, und ich sage mir: Das ist praktisch ein IQ-Test. Werde ich den Anhang öffnen oder nicht? Also, es ist wirklich interessant, von welchen Angestellen ich diese Mail bekomme." Nun, liebe Fans und Nicht-Fans der Wochenschau: Dreimal dürft ihr raten, wer uns die Nachricht überbrachte, der E-Mail-Wurm ILOVEYOU sei eigentlich nur ein Intelligenztest. Es war nicht Onel de Guzman, denn der meinte, es könne auch ein Versehen gewesen sein, den Wurm losgeschickt zu haben – nicht gerade ein Zeichen für Intelligenz. Auch war es nicht Jürgen Rüttgers – der hat genug damit zu tun, angesichts www.juergenrüttgers.de und Kinderarbeit an Computern seinen eh schon lädierten Ruf als Ex-Zukunftsminister zu wahren. Diesmal war es Bill Gates, Übervater Microsofts und als Chief Software Architect inzwischen wohl für all die wunderbaren und großartigen Dinge zuständig, die unser harren. In welche Fettnäpfchen will Papa Gates eigentlich noch alle tappen? Oder will er sich nur als Oberboss in Redmond endgültig unmöglich machen, altruistisch, wie er nun mal ist: Mit schneidend scharfem Verstand dämmert Gates die Erkenntnis, dass er das eigentliche Problem Microsofts ist – nicht das US-Justizministerium, nicht fehlerhafte Software, nicht gerichtsnotorische üble Geschäftspraktiken. Zu Gates, dem Tyrannen, schlich Bill, den Dolch im Gewande. Bleibt die Frage, welch dritte Seele in seiner Brust wohnt.

*** Jedenfalls benutzt der gute Mann offensichtlich Outlook. Aber das Service Release 1 für das Office-Paket seiner eigenen Firma hat er nicht installiert. Denn das verhindert nach Aussagen von Microsoft das Ausführen von Dateianhängen in E-Mails per Doppelklick. Schöne Sache – nur wies die Firma solche Forderungen trotz der Existenz entsprechender Korrekturen weit von sich. Im Brustton der Überzeugung verkündete Microsoft, man sei an nichts schuld – nicht an der schnellen Verbreitung von ILOVEYOU, nicht an Sicherheitslücken. Immerhin nutzt Bequemlichkeit nun einmal mehr dem Marketing als ein Hinweis auf etwas umständlichere Prozeduren, die dem Schutz der Anwender dienten. Schizoid, wie Microsoft allzu oft erscheint, gab man allerdings schon vor Monaten Patches für Outlook heraus, die genau dem gleichen Ziel wie der Bug-Fix für das Office-Paket dienen; leider vergaß man damals die VB-Scripte. "Was denn?" pflegte eine französische Comic-Figur angesichts solch absurder Situationen zu bemerken.

*** Sage nur niemand, er sei nicht gewarnt gewesen. "Fileserver installieren? Schneller als Kaffee kochen!" Gestandenen Administratoren mögen angesichts solcher Versprechen alle noch verbliebenen Haare zu Berge stehen – und dabei dürfen sie sich nicht einmal damit beruhigen, die üblichen Versprechungen Microsofts als Marketinggewäsch abtun zu können. Dieses Mal haut eine Linux-Firma so richtig auf die Pauke: "Von der weit verbreiteten Weisheit, Linux sei nur etwas für Spezialisten, kann man sich mit PYRAMID OfficeFileservern gründlich verabschieden. Fünf Minuten nach dem Auspacken ist das Netz voll einsatzfähig und um eine wichtige Komponente reicher", erklärt die Freiburger Firma. Ich sehe schon all die geplagten Menschen, die sich die Weisheit zu Herzen nehmen, Microsofts Monokultur sei mit Schuld an der Anfälligkeit all der weltweit vernetzten Computer: Schnell mal zwischen Arbeitsbeginn und erstem Bürokaffee einen netten Linux-Fileserver installieren. Denn der Linux-Spezialist müsse keineswegs einbestellt werden, meint Pyramid auch noch. Fehlen noch all die Anwender: Die bekommen eine speziell auf Nutzer, die im Tal der Windows-Ahnungslosen leben, getrimmte Linux-Version. Ob SuSE, Red Hat, Corel oder wie sie auch immer heißen mögen: Den Enduser fest im Blick geht Bequemlichkeit vor. Haben wir das nicht schon vom anderen Lager gehört? Na dann: Wenn Linux endlich keine Angelegenheit der Freaks und Profis mehr ist, dann können Linux-Würmer und -Viren fröhliche Urständ feiern, die mit all den unter root-Accounts betriebenen Desktop-PCs und File-Servern leichtes Spiel haben. Sage nur niemand, eine Firma würfe für die Position eines Linux-Microsoft nicht alle Bedenken über Bord. Sage nur niemand, er sei nicht gewarnt gewesen.

*** Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. "Liebe Windows-User: We love you!" – die Werbeagentur Springer & Jacoby war sich wirklich nicht zu blöde, eine ganzseitige Anzeige zu schalten, um die von ILOVEYOU geplagten Windows-User zu veräppeln. All die ach so Kreativen in den anderen Werbeagenturen mögen sich ebenfalls ins manikürte Fäustchen gelacht haben. "Wir sind von Anfang an überzeugte Mac-User und dankbar, keinen Schaden durch das Virus genommen zu haben", meinten Amir Kassaei, Creative Director Text, und mit Creative Director Florian Grimm verantwortlich bei Springer & Jacobi. "Mit dieser Aktion – über die Apple und TBWA vorab informiert waren – wollen wir Apple's Marktposition unterstützen." Abgesehen davon, dass es sich um einen Wurm und keinen Virus handelte, und abgesehen davon, dass man auch von "Kreativ-Direktoren" die Vermeidung des sächsischen Genitivs erwarten sollte, hätte die Werbeagentur auf eben die vorab Informierten hören sollen – denn Apple Deutschland riet den Werbern dringend von der Kampagne ab. Das wundert nicht: Weiß doch jeder, der sich halbwegs mit AppleScript auskennt, dass damit prinzipiell das VB-Script von ILOVEYOU ohne Probleme nachzubauen wäre. Und die Apple-Mannen in Cupertino finden die Sache wohl auch nicht besonders lustig. Springer & Jacoby sieht sich nun mit einer Anzeige wegen unzulässigen Gebrauchs von Apple-Logo und Apple-Werbespruch "Think different" konfrontiert. Wer spottet, muss sich nicht wundern, wenn er den Schaden hat.

*** Würmer, Viren und Trojaner sind aber wohl nicht nur ein Problem dummer Enduser und blasierter Werber. Wie sonst könnte sich ein Wurm so schnell über Firmen- und Organisationsnetze ausbreiten, egal, ob es sich bei den Betroffenen um Banken, Hightech-Firmen oder Landesregierungen handelte. Haben die Leute denn ihre Mitarbeiter nicht geschult? Hat denn heutzutage niemand mehr ein vernünftiges Backup oder wenigstens die kleinsten Sicherungsvorkehrungen? Wem sich diese Fragen stellen, dem dürfte eine Passage aus dem Geschäftsbericht 1999 von Amazon.com zu einem Aha-Erlebnis verhelfen. Dort heißt es nämlich: "Wir betreiben alle unsere Computer- und Kommunikations-Hardware in einem einzigen angemietenen Gebäude in Seattle, Washington. Unsere Systeme und unser Betrieb könnten geschädigt oder unterbrochen werden durch Feuer, Wassereinbruch, Stromausfall, Telekommunikationsfehler, Einbrüche, Erdbeben und ähnliche Ereignisse." Aber nicht nur vor den Naturgewalten hat Amazon Angst: "Computer-Viren, physische oder elektronische Einbrüche könnten System-Unterbechungen, Verzögerungen und den Verlust elementarer Daten verursachen sowie unsere Reputation und unseren Markennamen ernsthaft schädigen." Also, was macht der Vater aller Online-Shops? Nichts: "Wir haben keine Backup-Systeme oder einen formellen Plan zur Wiederherstellung der Systeme nach einem Unglück, und wir haben möglicherweise keine ausreichende Versicherung gegen die Unterbrechung unseres Geschäftsbetriebs, um uns einen Ausgleich zu verschaffen für Verluste durch eine größere Unterbrechung", heißt es im selben Absatz des Geschäftsberichts. Alles klar?

*** Aber lassen wir das für heute mit all den Würmern, Viren und Trojanern. Wenn ich noch ein Wort von einem E-Mail-Wurm schreibe, kommen den Wochenschau-Lesern vielleicht noch die Bandwürmer aus der Nase. Auch vom "blanken Kinderhintern", der Festplatte des Strauß-Sohnes Max, gibts nichts Neues. Dafür hat ein Softwareunternehmen mal die Kreativität gewaltig spielen lassen und "Software-Entwicklung" ganz neu interpretiert: "Das Aachener Softwareunternehmen Aixo Informationstechnologie setzt bei der Suche nach den hochbegehrten IT-Spezialisten nicht auf die Green Card, sondern auf weibliche Reize. Ein 84 qm großes Plakat, mitten in der Aachener City, zeigt eine junge Frau, eingewickelt, die dringend einen 'Entwickler' sucht." Ah ja. Selbst die Kinder, die statt der Inder ja wohl auch in Aachen die Software entwickeln sollen, dürften schon wissen, dass sie die Frau lieber "aus"-wickeln statt "ent"-wickeln sollten, wenn sie der Anspielung des innovativen Unternehmens folgen wollen. Mit "ungewöhnliche Methode" würden wir die Werbung von Aixo auch nicht beschreiben. "Sex sells" meint die Werbebranche. Warum soll Sex dann auch nicht einkaufen – und wenn es nur ein paar Software-Entwickler sind, die vor lauter hängender Zunge, Auge in Auge mit einem Lustobjekt, nicht mehr merken, wie sie für dumm verkauft werden.

*** Übrigens sollte sich Microsoft vielleicht einmal die Prozessakten des Falls "US-Justizministerium gegen IBM" zu Gemüte führen. Damals warf die Konkurrenz IBM eine Marketingmasche vor, die mit FUD umschrieben wurde: Fear, Uncertainity and Doubt. IBM hat danach also Furcht, Unsicherheit und Zweifel unter den Kunden verbreitet – über die Konkurrenz nämlich, ob die denn überhaupt mit dem mithalten könne, was Big Blue denn so Großartiges vorhabe. Denn zu den Zeiten kündigte IBM immer Systeme an, die weit besser sein sollten als alles, was die Konkurrenz gerade auf den Markt gebracht hatte – und was wiederum in der Regel weit besser war als das, was IBM selbst zu der Zeit anbieten konnte. Nach der Ankündigung überlegte sich der Konzern dann, wie er denn nun die großen Versprechungen in die Praxis umsetzen könnte – was dann manchmal zu Ergebnissen führte, manches Mal aber auch nicht. Dann nämlich, wenn es gar nicht mehr notwendig war, ein neues System zu entwickeln. Die so genannten Mittbewerber mussten teilweise schon viel früher aufgeben, denn die Kunden sprangen ab: IBM werde ja bald ein viel besseres System herausbringen. Um härtere juristische Strafen zu vermeiden, musste IBM der US-Justiz versprechen, Systeme erst dann vorzustellen, wenn man sie auch wirklich fertig habe. Was bis heute dazu führt, dass man dem Konzern oft mehr als nur Würmer aus der Nase ziehen muss, will man etwas über geplante Rechner oder Software erfahren. Und was das alles jetzt mit Microsoft zu tun hat? Nun, großes Brimborium veranstalten die Redmonder gerade um eine Spielkonsole namens X-Box, von der sie nicht viel mehr als eine Attrappe und eine zweiminütige Video-Show vorführen können. Gates aber tönt schon herum, Microsoft definiere die Spielkonsolen neu. FUD eben.

Was wird.

Angefangen hat er schon, der Muttertag; in Hannover machen sich bald die Marathon-Läufer auf die Strecke; und in Nordrhein-Westfalen wartet alles gespannt, ob "Kinder statt Inder" das Bundesland zum Internet-Standort Nr. 1 machen. Jedenfalls können sich Surfer, die sich außerhalb Nordrhein-Westfalens keine Gedanken über solche hochwichtigen Fragen machen müssen, im Web über den Verlauf der Wahl informieren. Wer sich nicht auf die Hochrechungen verlassen will, dem bietet das Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen einen besonderen Service: Auf einer eigenen Web-Seite kann man die einlaufenden Auszählungsergebnisse der einzelnen Wahlkreise sofort erfahren. Wen der Wettstreit zwischen Rüttgers und Clement unter Berücksichtigung der kleineren Balgereien zwischen Möllemann und Höhn nicht so interessiert, der fühlt sich aber vielleicht von der Attacke Microsofts auf den Online-Dienst Slashdot, eines der bedeutendsten Sprachrohre der Open-Source-Szene, betroffen. Passend zu der Auseinandersetzung, in der sich Microsoft auf den so genannten Digital Millenium Copyright Act (DMCA) beruft, findet dieser Tage in Stanford an der juristischen Fakultät ein Hearing statt. Der Titel: "Rulemaking on Exemptions from Prohibition on Circumvention of Technological Measures that Control Access to Copyrighted Works". Das praktisch nicht übersetzbare Juristen-Englisch (ähnliche Schwierigkeiten dürften Amerikaner haben, einen deutschen Rechtstext zu übertragen) heißt nichts anderes, als dass an Copyright Interessierte ihre Meinung zum DMCA kundtun sollen. So hat sich dann auch gleich eine Protestdemo angemeldet, die wohl aus der Open-Source-Szene initiiert wurde. Eingeladen dazu sind "Freiheitsliebende, die das Recht der User, nicht nur der Copyright-Inhaber bewahren wollen. Menschen, die 'Fair Use' für wertvoll halten und das Recht auf Reverse Engineering zu Nutzen der Kompatibilität. Anhänger der Freien Software. Programmierer. Ingenieure. Bibliotheksausweisbesitzer. Bürger." Wer sich also aus den Niederungen der deutschen Politik in die höheren Sphären des politischen Kampfs für Open Source begeben will, sollte sich am 18. Mai um 12 Uhr vor dem Gebäude der Law School in Stanford einfinden. Wer das Ganze für etwas abgedreht hält, weil es nur um ein Stück Software geht, kann aber auch zu Hause bleiben. (Hal Faber) (jk)