Wie die Industrie schnelle Emissionseinsparungen schaffen könnte

Es ist durchaus möglich, Treibhausgase in wenigen Jahren massiv zu reduzieren. Technische Durchbrüche braucht man dafür nicht.

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Kraftwerk mit Klimagasausstoß.

(Bild: heise online / anw)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
Inhaltsverzeichnis

Über die Diskussion, wie die Deutschen über den nächsten Herbst und Winter kommen sollen, gerät eine deutlich wichtigere Debatte ins Hintertreffen: Nämlich wie die Welt es angesichts des Klimawandels über die nächsten 30 Jahre packen soll – besser noch über die nächsten 80 Jahre. Viele der heute Geboren werden die Auswirkungen der Klimakrise hart zu spüren bekommen. In vielen Entwicklungsländern lassen Extremwetter das Leben bereits heute zu einem Vabanquespiel werden. Dabei braucht es nicht einmal neue Technologien, um die Klimagasemissionen in den reichen Ländern radikal und schnell zu beenden. Es reicht der Wille von Politikern und Bürgern.

Das jedenfalls ist die Überzeugung der beiden Forscher Edgar Hertwich von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie Trondheim und Stefan Pauliuk von der Universität Freiburg. Denn das legen ihre Modellanalysen von zwei wichtigen Wirtschaftssektoren nahe. Sie spielten durch, wie sich die Produktion, Nutzung und Entsorgung von Wohngebäuden und Personenautos für den Zeitraum bis 2050 schon jetzt, schnell und ohne Aufwand klimafreundlich gestalten ließe. In unterschiedlichen Szenarien nahmen sie auch mögliche Nachfragetendenzen, Bevölkerungsentwicklungen und auch denkbare politische Gestaltungen vorweg.

In ihren Modellen teilten sie die Welt in insgesamt 20 Regionen auf, die in sich ähnliche sozioökonomische Bedingungen haben. Dazu gehört die Gruppe der OECD-Länder, die Staaten der ehemalige UdSSR und China. Im globalen Süden fassten sie Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen jeweils in Asien, Afrika und Lateinamerika in je einer Region zusammen.

Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass sich allein in den Gebäude- und PKW-Sektoren zusammen die Treibhausgasemissionen sehr schnell in wenigen Jahren um ein bis zwei Drittel senken lassen: Einfach nur durch den Bau leichterer und kleinerer Produkte in Verbindung mit intensiverer Materialnutzung und ein paar Verhaltensänderungen.

Das ist zunächst der Bausektor, der heute für insgesamt 40 Prozent der materialbedingten Kohlendioxidemissionen verantwortlich ist. Die Forscher fokussierten sich in ihrer Untersuchung allerdings nur auf Wohngebäude, weil die innerhalb des Bausektors die größten Energie- und Materialverbraucher sind. Allein durch "Dematerialisierung", wie die Wissenschaftler die Verringerung von Baumaterial nennen, ließen sich bis 2050 rund 20 bis 50 Gigatonnen CO2-Äquivalente einsparen. Für die Herstellung von Personenautos könnten die Emissionen im gleichen Zeitraum um weitere 13 bis 26 Gigatonnen reduziert werden.

Bei Häusern ist die Materialeffizienz auf der Nachfrageseite entscheidend. Die Forscher gehen davon aus, dass sich die Wohnfläche pro Kopf ohne weiteres und ohne Komforteinbußen um bis zu 20 Prozent der heutigen Wohnflächen senken ließen. Dadurch würde sich sowohl die Menge des benötigten Baumaterials als auch der Energiebedarf zum Heizen oder Kühlen von Gebäuden reduzieren. Wenn mehr Menschen in Mehrfamilienhäusern leben würden, trüge das zu weiteren Emissionseinsparungen bei. Dadurch erhöht sich auch die städtische Dichte und damit auch die Anreize, öffentliche Verkehrsmittel stärker zu nutzen.

Und es sollte Holz statt Beton zum Bauen genutzt werden. Neben nur geringen Emissionen für Ernte, Transport und Bearbeitung bindet es sogar noch Kohlenstoffdioxid. Gewiss, auch die Bioökonomie hat es auf Wälder als Rohstofflieferanten abgesehen. Holz könnte also Mangelware werden. Doch wenn man, wie die Wissenschaftler berechneten, Holzgebäude mit einer begrenzten Nutzfläche plant, sollte die Gesamtnachfrage nicht unbedingt ansteigen.

Bei den Fahrzeugen ließen sich mit nur drei Strategien zur Steigerung der Materialeffizienz auf der Seite der Nutzer der größte Teil der Emissionsreduzierung bewirken. Dazu gehören Mitfahrgelegenheiten oder Fahrgemeinschaften, die sowohl die Anzahl der Autos als auch die gefahrenen Strecken durch gemeinsame Fahrten reduzieren können. Auch das kurzfristige Anmieten von Autos in der Nähe, das Carsharing, kann dazu beitragen, den Autobesitz zu reduzieren – jedenfalls, wenn es nicht eine bislang nicht dagewesene Nachfrage von zuvor autolosen Stadtbewohnern befördert. Die dritte Maßnahme für Fahrzeuge wäre dann noch die Verringerung der Größe und damit des Gewichts von Autos.

Analysiert haben Hertwich und Pauliuk auch, welche Emissionseinsparungen sich durch Recycling, Wiederverwendung von gebrauchten Teilen und eine Verlängerung der Lebensdauer von Produkten erzielen ließe. Das führte in ihren Berechnungen zwar zur Materialeinsparung, nicht aber zu nennenswerten Emissionsabsenkungen. Die Verlängerung der Produktlebensdauer käme nur dann dem Klima zugute, wenn sie für Gebäude und Elektrofahrzeuge von vorne herein auch eingeplant wird. Für Produkte mit schlechterer Leistung, wie sie heute meist noch in Gebrauch sind, gilt das nicht.

Ausnahme ist das Recycling von Metallen. Dadurch würde nämlich die primäre Stahlnachfrage auf ein Sechstel und die Kupfernachfrage auf die Hälfte sinken. Beim Recycling des Abbruchmaterials von Gebäuden ließe sich die Zementnachfrage sogar auf ein Viertel reduzieren. Für das Konzept einer Kreislaufwirtschaft ist das eine wichtige Nachricht. Die Ergebnisse der Studie flossen denn auch bereits in die EU-Aktionspläne für die Kreislaufwirtschaft und die erhoffte Renovierungswelle ein. Wie man mit Dematerialisierung Emissionen senkt, können die reichen Länder des Nordens übrigens sehr gut von den Entwicklungsländern lernen. Denn dort geht es gar nicht anders, als mit Ressourcen und Produkten sparsam und sorgfältig umzugehen, weil es an Geld mangelt. Technische Durchbrüche sind dazu ebenfalls nicht nötig.

(jle)